Hiermit versuche ich alles aufzuschreiben, was ich über Leute und Orte, die in meinem Buch erwähnt werden, herausbekommen habe, vor allem, was nach dem Krieg aus ihnen geworden ist. Dafür waren hunderte von Anrufen und viel „Detektivarbeit“ notwendig gewesen, um das zu erfahren.

Schulzeit Alterkülz

Die einzigen beiden, über die ich in meiner Schulzeit geschrieben habe und die noch am Leben sind, das sind Gustav Berg (siehe Bilder im Buch) und Willi Schneider, beide noch wohnhaft in Alterkülz. Gustav Berg ist der Schwiegervater von Joachim Bender, welcher ja Urheber des Buches ist. Willi Schneider betrieb bis 1996 die gutgehende Gastwirtschaft „Külztal“ in Alterkülz. Mit beiden treffe ich mich jeden Sonntagmorgen gegenüber im Gasthaus „Zur Post“ (http://www.alterkuelz-gasthaus-zur-post.de/) zum Frühschoppen. Mit dabei in der Runde ist dann auch Walter Wagner aus Hasselbach, der mit mir damals nachts auf dem Pferdeschlitten war, der uns nach Simmern brachte. Von dort ging es weiter mit der Bahn nach Stromberg, wo wir in verschiedene Wehrertüchtigungs-Lager (WE-Lager) verteilt wurden, ich dabei nach Waldalgesheim.

Hasselbach

Walters Heimatort Hasselbach liegt nur einen Kilometer von Alterkülz entfernt. Bekannt ist dieser Ort vor allem durch das Techno-Musikfestival „Nature One“, das dort jedes Jahr am ersten Augustwochenende stattfindet. An gleicher Stelle, an der ehemaligen Raketenbasis „Pydna“, fand im Oktober 1986 eine Großdemonstration mit ca. 200.000 Teilnehmern gegen die Stationierung von Cruise-Missiles-Atomraketen statt.

Waldalgesheim

Das eben erwähnte WE-Lager in Waldalgesheim war im Jahre 2012, während und kurz nach Fertigstellung des Buches, auch Ausgangspunkt für meine ersten Nachforschungen. Dabei hatte ich versucht, Verbindungen mit meinen Kumpeln von damals aufzunehmen, etwa mit Karlheinz Claßen, der heute noch in Hargesheim lebt und lange Jahre als Kunstschmied arbeitete. Er schenkte mir einen handgeschmiedeten Weinstock mit Blättern und Trauben. Auch Heinrich Brandenburger lebt noch, nur unsere Stimmungskanone Philipp Ess ist schon einige Jahre tot. Auch mein bester Lager-Freund Willi Blattau starb schon mit 60 Jahren. Von all diesen vieren sind Bilder in meinem Buch.

Nachdem ein Teil meines Buches im Waldalgesheimer Wochenblatt veröffentlicht war, rief mich ein Leser an, der sich an den Sonntag erinnern konnte, an dem wir die Panzerfaust abschossen. Als damals 13-jähriger war er uns gefolgt und hatte gesehen, wie Gänse, durch den lauten Knall aufgeschreckt, weit hinunter ins Tal geflogen waren. Der von der Panzerfaust getroffene Rollwagen sei heute immer noch irgendwo ausgestellt, meinte er noch.

Von unseren Ausbildern konnte ich nichts weiter erfahren, einzig unseren Lagerführer, Leutnant Hardt, der aus Enkirch stammte und dort eine Tankstelle betrieb, traf ich einige Jahre nach dem Krieg auf der Kirmes in Wolf an der Mosel. Aus Anlass der Kirmes spielten wir dort Fußball. Als wir uns begegneten, erkannte er mich sofort wieder, was ihm aber sichtlich unangenehm war. Er fragte nicht einmal, wie es uns nach dem Lager ergangen war.

Vor einigen Tagen rief ich nach Waldalgesheim an, um mich nach dem Verbleib des freundlichen Gastwirtes Bremmer zu erkundigen. Beim ersten Anruf hatte ich schon die Schwiegertochter des damaligen Wirtes an der Strippe. Sie war sehr freundlich und gab mir zu alledem Auskunft, was mich interessierte. Ihr Schwiegervater, der 1912 geborene Michael Bremmer, arbeitete in den Kriegsjahren im Bergwerk, weshalb er vom Militärdienst befreit war. Die Wirtschaft betrieb er mit seiner Frau im Nebenerwerb. Einige Jahre nach dem Krieg versanken ihr Gaststätten-Gebäude, die Kirche, sowie mehrere andere Häuser im Abgrund, weil sie im Laufe der Zeit von den Bergwerksstollen unterhöhlt wurden. Sie bekamen vom Bergwerksbetreiber eine neue Wirtschaft im Dorf gebaut, dazu bauten sie noch einen großen Tanzsaal. Als Michael Bremmers Sohn Edgar und seine Frau (mit der ich telefonierte) altersbedingt aufhörten, verpachteten sie das Ganze. Ihre Kinder und Enkel sind in anderen Berufen tätig und hatten so kein Interesse daran.

Mörlen

Von Mörlen erfuhr ich, dass die Baracke, in der wir quartierten, inzwischen abgerissen wurde. Die Frau und der Sohn, die später darin wohnten, seien bei Nacht und Nebel abgehauen.

Haiger

Während der Fahrt von Mörlen nach Fronhausen kamen wir durch Haiger, wo wir von einem Bauern, bei dem wir unsere Pferde fütterten, erfuhren, dass ein Massenmörder in Haiger seine Untaten trieb. Durch den Sohn von Kurt Ackva (der auch bei uns im WE-Lager war), Dr. Friedhelm Ackva, erfuhr ich mehr dazu. Dr. Ackva, der Pfarrer in Dillenburg war und zu dessen Pfarrei auch Haiger und Fronhausen gehörten, leistete für mich dabei wertvolle „Detektivarbeit“, denn er bekam heraus, dass der Industrielle Fritz Angerstein, kurz vor dem Ruin stehend, 8 Menschen umbrachte, darunter seine Familie, die er mit dem Beil erschlug, und im Betrieb dann seinen leitenden Angestellten. Auch schickte er mir Bilder von der Schule, in der damals der Regiment-Gefechtsstand war, an dem ich mich nach der Lage erkundigte. Sie wurde nach dem Krieg zu einem Kindergarten umfunktioniert.

Dr. Friedhelm Ackva stammt aus Waldlaubersheim, ebenso wie sein bekannter Cousin Lothar Ackva, der sonntags morgens im SWR4 zu hören ist und neben seiner Tätigkeit beim Radio früher auch oft im SWR3-Fernsehen zu sehen war. Von Friedhelm gibt es auch einen Eintrag in meinem Gästebuch.

Hofgeismar

Bei meiner Suche nach Antwort auf die Frage, was wohl aus dem freundlichen Kreisleiter aus Hofgeismar geworden sei, konnte mir nach unzähligen Anrufen keiner Auskunft geben. Doch schließlich erreichte ich jemanden, der mir die Adresse seines Schwiegersohnes gab. Dieser heißt Hartmut Leipnitz und hat ein Sportartikelgeschäft in Hofgeismar, arbeitet daneben auch als Fremdenführer. Durch ihn erfuhr ich so manches. Sein Schwiegervater hieß Röckle, betrieb einen Bauernhof in Hümme, einem Stadtteil von Hofgeismar. Das leerstehende Gehöft steht noch heute. Der Kreisleiter verbrachte nach seiner Festnahme einige Monate in einem amerikanischen Straflager. Der damals etwa 50-jährige wurde in einem schlechten Zustand entlassen. Einige Jahre später verstarb er.

Elliehausen

In Elliehausen, wo wir die zwei Pfingsttage 1945 zubrachten, rief ich auf gut Glück jemanden mit Namen „Grube“ an. Diesen Namen hatte ich in mein Tagebuch eingetragen, so hieß der Friseur, der uns damals die Haare schnitt. Ich hatte Glück, schon beim ersten Anruf meldete sich einer von den vielen „Grubes“, die es in Elliehausen gibt. Es war der Sohn des Friseurs, der uns damals die Haare schnitt. Er war damals 11 Jahre alt und konnte sich noch sehr gut an alles erinnern. Er erzählte, nach uns hätte der etwa 4 Jahre alte Nachbarsjunge die Haare geschnitten bekommen und hätte sich dabei mit Händen und Füßen gewehrt und so markerschütternd geschrien, dass wir ihn festhalten mussten. Doch daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Seulingen

Von Elliehausen ging es nach Seulingen, wo wir 5 Tage verbrachten. Auch dort wurde ich nach vielen Anrufen fündig. Einige ältere Frauen konnten mir auf meine Fragen Antworten geben. Die erste konnte mir die sieben Kinder nennen, die 1945 zur Kommunion gingen. Einer davon war der gesuchte Junge, der gegenüber dem Landdienstlager wohnte. Ebenso konnte sie mir die Adresse der Familie geben, bei der wir die Zigarren bekommen hatten. Bei einem Anruf dorthin meldete sich eine Frau, wahrscheinlich die Frau des Kommunionjungens, der leider auch nicht mehr lebt. Sie meinte, sie hätte ihn mal was von damals erzählen gehört, aber Genaues könne sie mir nicht erzählen.

Auf der Suche nach dem Verbleib der Landjahrmädels, die ebenso wie wir in der Baracke wohnten, wurden mir zwei Namen genannt, die ich anrufen sollte. Dabei stellte sich heraus, dass beide aus Danzig stammten, wohin sie aber nicht mehr zurück konnten, weil die Rote Armee Danzig eingenommen hatte und die Deutschen vertreiben wurden. So blieben beide in Seulingen und heirateten schließlich auch dort. Ich fragte sie, ob sie eine Isolde Klimmok aus Wanne-Eickel kennen würden, mit der hatte ich mich ein wenig angefreundet. Sie meinten dazu, dass einige Mädchen, die aus Wanne-Eickel stammten, am nächsten Morgen in aller Frühe mit den letzten Soldaten Seulingen verließen. Da war auch Isolde mit dabei.

Bad Lauterburg

Auf dem Weg von Scharzfeld nach Braunlage kamen wir am frühen Morgen, als es noch nicht richtig hell war, durch Bad Lauterburg. Am Anfang des Ortes, dort wo die Bahngleise die Straße überquerten, stolperte eines unserer Pferde, sodass es lahmte und für uns wertlos war. Wir brachten es zur Pferdemetzgerei, wo wir es gegen einige Wurstpakete eintauschten. Weiter in der Stadt sahen wir viele Leute bei Aufräumarbeiten. Tags zuvor hatte ein Jagdbomber eine Bombe auf eine Menschenmenge, die vor einer Bäckerei stand, abgeworfen. Bei meinen Nachforschungen bei der Stadtverwaltung Bad Lauterburg wurde mit Folgendes mitgeteilt: Die Bahngleise wurden ebenso wie der Bahnhof abgerissen. Die Pferdemetzgerei hieß Jimmy Jahn, sie wurde Mitte der 50er Jahre geschlossen. Der Besitzer der Bäckerei, vor der 37 Menschen umkamen, hieß Hille. Auch diese existiert nicht mehr.

Lommatzsch

Als ich voriges Jahr ein wenig in meinem Buch blätterte, kam mir bei dem Bild mit der Einquartierung  (Seite 36) die Idee, auch hier ein paar Recherchen anzustellen. Daraufhin holte ich mir das Originalbild hervor, das uns ein Richard Lindner, der aus Lommatzsch in Sachsen stammte, zugeschickt hatte. Ich suchte im Internet nach einer Familie Lindner, um herauszufinden, wie es mit ihm weitergegangen war. Schon beim ersten Anruf meldete sich eine Frau Gertraude Lindner, die Tochter von Richard. Als ich ihr mitteilte, dass ich ein Buch geschrieben hätte, worin ein Foto ihres Vaters wäre,  war sie ganz gerührt und kramte aus einem Fotoalbum das gleiche Bild heraus, auf dessen Bild bei ihr stand: Einquartierung in Alterkülz. Sie bemerkte noch, ihr Vater sei der ganz links auf dem Foto, was ich auch noch wusste. Sie bestellte sofort zwei Bücher bei mir. Gertraude Lindner ist eine bekannte Hundezüchterin, ihr Vater Richard starb in den 70er Jahren.

Edersee

Etwa vor einem Jahr bekam ich eine Buchbestellung von einem Rütger Karbach aus Ellern. Er ist der Sohn von unserem damaligen Obergebietsführer Rolf Karbach. Rütger Karbach hatte von Freunden von dem Buch erfahren, auch dass dort einiges zu seinem Vater drinstehen würde. Als er das Buch gelesen hatte, rief er mich erneut an und erzählte mir, wie es mit seinem Vater nach dem Krieg weitergegangen sei. Nachdem wir ihn in der Nähe des Edersees zum letzten Mal gesehen hatten, hätte er sich abgesetzt und bei einem Bauern in der Nähe von Marburg versteckt. Nach Kriegsende und nachdem die Amerikaner dort wieder weg waren, habe er vier Jahre bei dem Bauern gearbeitet, um einer Strafe in einem Straflager zu entgehen. Seine Familie, die erfolglos nach ihm suchte, hielt ihn für tot.

Einige Monate nach seinem Arbeitsbeginn kam der Bürgermeister, der auch Vorsitzender des Sportvereines war, zu ihm und unterrichtete Rolf Karbach darüber, dass er nun alle Fremden melden müsse, die seit dem Krieg im Ort lebten. Daraufhin erwiderte Rolf Karbach ihm: „Melde mich ruhig, wenn ihr euren besten Fußballer verlieren wollt!“ Und so meldete der Bürgermeister ihn nicht.  

1949 wurde mit Amtsantritt von Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss eine Amnestie für alle erlassen, die keine schwerwiegenden Straftaten bis dahin begangen hatten (Straffreiheitsgesetz 1949, siehe hier: http://www.documentarchiv.de/brd/1949/straffreiheit_ges.html). Nun meldete sich Rolf Karbach vorsichtig zu Hause mit der Bitte, man möge sich umhören, ob gegen ihn etwas im Rheinland oder in Luxemburg (das ja auch zum ehemaligen  „Gau Moselland“ gehörte) vorliegen würde. Es lag aber nichts vor und so konnte er, nachdem er vier Jahre lang für tot gehalten wurde, endlich heimkehren.

Welda

Vor einigen Wochen bekam ich einen Anruf aus Welda. Jemand von dort wollte mein Buch bestellen. Bei Bekannten, die bereits eines hatten, wurde er darauf aufmerksam gemacht. Er berichtete mir, dass er nur wenige Meter neben dem Camp unseres Straflagers gewohnt habe. 14 Jahre war er damals alt. Er erzählte davon, dass er an allen 17 Tagen, die das Lager bestand, nachts das MG-Feuer hörte, wobei auf die dem Wahnsinn verfallenen Gefangenen, die sich absichtlich in den Stacheldrahtzaun stürzten, geschossen wurde, ebenso auf viele, die Fluchtversuche unternahmen. Er meinte weiter, dass die Schreie der im Zaun hängenden Verletzten noch schlimmer waren als die MG-Salven. Auch sei das Gejammer derer zu hören gewesen, die nahe dem Erfrieren waren. Am Morgen wurden die Toten wie Vieh auf LKWs geworfen und nach Breuna, einem Nachbarort von Welda, gebracht, wo sie in einem Massengrab verscharrt wurden. Am Tage habe man die Schreie der Verprügelten bei den Verhören gehört. Diese Stöcke, die bei den Verhören benutzt wurden, waren mit Lederriemen bestückt. Er erzählte mir weiter am Telefon etwas, was wohl ein Beispiel für die Tragik dieses Krieges ist: Der Lagerführer sei der Sohn eines Viehhändlers gewesen, der aus Breuna stammte und sehr wahrscheinlich von den Nazis in einem KZ ermordet wurde. Dieser habe vor dem Krieg auch das Vieh bei ihnen in Welda gekauft.

Als ich vor zwei Jahren im Internet las, dass der ehemalige deutsche Nationaltrainer Jupp Derwall (https://de.wikipedia.org/wiki/Jupp_Derwall ) auch im Gefangenenlager Welda war, suchte ich die Adresse seiner Frau Elisabeth (eine Schweizerin) und rief sie an. Sie sagte mir, dass er, solange er lebte, Welda nicht vergessen konnte. Sie ist schon über 90 Jahre alt. Sie hat mir schon einige Briefe geschrieben und ich telefoniere ab und an mit ihr. Sie sagte mir, dass Horst Hrubesch der Lieblingsspieler ihres Mannes gewesen wäre.

Heidesheim

Weiterhin suchte ich im Internet die Adresse von Werner Winkler aus Frankfurt-Fechenheim, mit dem ich mich im Lager Heidesheim angefreundet hatte. In mein Tagebuch hatte ich seine damalige Adresse notiert. Nachdem ich eine Menge Winklers angerufen hatte, fand ich Werners Frau Maria, die mir sagte, dass Werner schon seit einigen Jahre nicht mehr am Leben sei. Er habe nie ein Wort über die Gefangenschaft verloren. Er war bei der Bundesbahn beschäftigt.

Auf der Suche nach Nachfahren des bekannten Kölner Komponisten und Sängers von Karnevalsliedern, Karl Berbuer (https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Berbuer), der bei uns im Lager Heidesheim jeden Tag über Lagerlautsprecher sein Lied „Heidewitzka, Herr Kapitän“ singen musste, erreichte ich seine Schwiegertochter Christa. Durch sie erfuhr ich, dass Karl zwei Söhne hatte, beide leben auch schon nicht mehr. Karl wurde 1900 geboren, starb 1977 und kam in beiden Weltkriegen jeweils in Gefangenschaft. Im Kölner Severinsviertel ist ein Platz nach ihm benannt, auf dem auch ein Brunnen in Form eines Narrenschiffes steht, auf dem Karl als Kapitän und daneben Figuren einiger seiner Lieder zu sehen sind.